Aufklärung und Gesetz - NRW will Organspende-Bereitschaft steigern Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Organspenden werden dringend gesucht. Allein in NRW warten 1800
Menschen auf ein neues Organ. Doch die Spendenbereitschaft ist
niedrig. NRW will gesellschaftlich und politisch gegensteuern.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Nordrhein-Westfalen will mit einer
landesweiten Aufklärungskampagne und einer Gesetzesinitiative im
Bundesrat die Bereitschaft zu Organspenden in der Bevölkerung
erhöhen. Angesichts der seit Jahren niedrigen Organspende-Zahlen in
Deutschland kündigte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU)
am Donnerstag einen eigenen Gesetzentwurf zur sogenannten
Widerspruchslösung im Bundesrat an. Dabei gilt grundsätzlich jeder
Mensch als Organspender nach dem Tod, es sei denn, er hat dem zu
Lebzeiten widersprochen. Aktuell kommt als Organspender nur infrage,
wer einer Spende aktiv zustimmt.

Zugleich startete die Initiative «#NRWEntscheidetSich», die erreichen
will, dass sich mehr Menschen überhaupt mit dem Thema Organspende
befassen und eine Wahl treffen. 1800 Menschen warteten allein in NRW
auf ein Spenderorgan, teilten Laumann und das Westdeutsche Zentrum
für Organtransplantation mit. Doch nur 166 Organe seien 2023
gespendet worden. Bundesweit stehen rund 8400 Menschen auf der
Warteliste für eine Transplantation. Nur 965 Menschen spendeten
vergangenes Jahr nach ihrem Tod ein Organ oder mehrere Organe.

Kritik an Laumann

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warf Laumann vor, vorhandene
Möglichkeiten nicht ausreichend zu unterstützen. Die
Widerspruchslösung erhöhe vielleicht die Anzahl der potenziellen
Organspender. Doch die Anzahl der tatsächlichen Spender hänge von
ganz anderen Faktoren ab. «Statt in Grundrechte einzugreifen, muss
Karl-Josef Laumann vor allem bei der Organisation des
Organspendesystems endlich Gas geben», erklärte Vorstand Eugen
Brysch. Denn die Umsetzung des vor vier Jahren beschlossenen Gesetzes
zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende komme
einfach nicht in Fahrt. «Laumann tut nichts, damit die Bürgerämter in

Nordrhein-Westfalen ihre Informationspflicht erfüllen können»,
kritisierte Brysch.

NRW setzt Gesetzesinitiative in Gang

NRW werde spätestens am 14. Juni einen Gesetzesantrag in den
Bundesrat einbringen, um damit das parlamentarische Verfahren für die
Widerspruchslösung in Gang zu setzen, sagte Laumann. Die Bundesländer
hatten im Dezember in einem Entschließungsantrag die Bundesregierung
aufgefordert, mit einem Gesetzentwurf dafür zu sorgen, dass die
Widerspruchslösung in das Transplantationsgesetz aufgenommen wird.
Ein erster Anlauf im Bundestag war 2020 gescheitert. 

Laumann sieht im jetzt anders zusammengesetzten Bundestag Chancen für
eine Annahme des Gesetzes. NRW werde den Entwurf auch allen anderen
Gesundheitsministern in den Bundesländern schicken und sie darum
bitten, zu Mitantragstellern in der Länderkammer zu werden.
Spätestens im Herbst solle der Gesetzentwurf im Bundestag sein. In 26
europäischen Staaten gebe es die Widerspruchslösung, sagte der
NRW-Minister. «Und diese Länder haben alle höhere Organentnahmezahlen

als wir.» 

Zahlreiche Initiativen für die Erhöhung der Spendenbereitschaft
hätten nichts an den niedrigen Zahlen geändert. Dabei stünden
Umfragen zufolge etwa zwei Drittel der deutschen Bevölkerung einer
Organspende positiv gegenüber. «Aber ich finde einfach, vor der
Entscheidung kann man sich nicht drücken.» Auch
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte jüngst für
einen neuen Anlauf für eine Widerspruchslösung geworben.

Kampagne in sozialen Netzwerken

Auch gesellschaftlich soll mithilfe der Kampagne
«#NRWEntscheidetSich» die Entscheidung für eine Organspende
vorangetrieben werden. Die Kampagne wird auf vielen digitalen Kanälen
wie Facebook, Instagram und X (vormals Twitter) ausgerichtet.
Unternehmen, Vereine und Initiativen aus ganz NRW können Partner
werden. Die Initiative ist die Ausweitung des Pilotprojekts
«#RuhrEntscheidetSich».

«Es geht nicht um Bekehrung und es geht auch nicht um Druck oder
Zwang», sagte Professor Jochen A. Werner, Vorstandsvorsitzender der
Universitätsmedizin Essen. «Es geht darum, die Menschen zu ermutigen
und zu befähigen, sich fundiert mit dem Thema Organspende zu befassen
und ihre wirklich persönliche Entscheidung zu treffen.» 

Für ihn sei es schwer erträglich, die gravierenden Folgen des
Organmangels zu erleben, sagte Werner. In der Essener
Universitätsmedizin gebe es Top-Medizinerinnen und Mediziner, eine
hervorragende Infrastruktur und modernste Geräte für
Transplantationen. «Und am Schluss können wir es nicht, weil es an
Organen mangelt, und man sieht dann die Folgen.» 

Die aktuelle Situation führe zu einer «zermürbenden Verzweiflung bei

den Menschen, die dringend auf Organe angewiesen sind, die auf
Wartelisten stehen, oft jahrelang und oft auch leider vergebens»,
sagte Werner. Besonders erschütternd sei es, wenn Eltern hilflos
zuschauen müssten, wie ihre Kinder ohne Aussicht auf Heilung blieben,
weil die benötigten Organe nicht verfügbar seien. 

Essen hat nach Angaben Werners das größte Transplantationszentrum in
NRW, das neben fünf anderen in Deutschland alle Organe
transplantieren kann. In Essen erhielten im vergangenen Jahr 183
Patienten Spenderorgane, aber 54 schwer kranke Patienten verstarben,
während sie auf eine Spende warteten. 

Aufklärung auch bei jungen Menschen 

Auch an weiterführenden Schulen im Rheinland starte in diesem Sommer
ein Projekt zur Aufklärung über Organspenden, sagte Sabine Deutscher,
Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg. Minister Laumann warb
dafür, auch in Fahrschulen und dem obligatorischen Erste-Hilfe-Kurs
über Organspenden aufzuklären.

Ebru Yildiz, Leiterin des Westdeutschen Zentrums für
Organtransplantation, sagte, die Entscheidung zur Organspende sei
eine persönliche, aber auch gesellschaftliche Verantwortung, die
jeder zu Lebzeiten selbst treffen sollte. Durch die Dokumentation der
Entscheidung werde auch Angehörigen die Last abgenommen, diese
schwierige Entscheidung nach einem Todesfall treffen zu müssen. 

Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende kann man seit kurzem
auch digital festhalten. Mitte März ging ein neues Online-Register in
Betrieb, in dem man ab dem Alter von 16 Jahren seine Entscheidung
dazu eintragen kann - Kliniken sollen sie im Ernstfall auch dort
abrufen können. Der Eintrag kann jederzeit geändert oder widerrufen
werden. Nach Informationen Laumanns haben sich bislang mehr als
70 000 Menschen in das Register eingetragen. Davon hätten rund fünf
Prozent eine Organspende abgelehnt. Auch von der Webseite der
NRW-Aufklärungskampagne kann man auf das Online-Register gelangen.